Bericht

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Nadja Tolokonnikowa, Gorki Theater Berlin

Die Aktionskünstlerin und Frontfrau der Moskauer Frauen-Punkband Pussy Riot stellte am 14.3.2016 im Gorki Theater ihr Buch „Anleitung für eine Revolution“ vor.

 

Nadja Tolokonnikowa ist eine sehr schöne Frau, eine Frau mit vielen Gesichtern. Auf Verlagsfotos wirkt sie damenhaft, heute allerdings kommt sie als Punk: schwarz geschminkte Lippen zu Leggins mit Totenkopf-Print und schicken Sneakers. Die Bühne betritt sie wie eine, die weiß, dass sie bewundert wird – nicht nur für ihre Schönheit, sondern auch für ihren Mut. Sie hat das System Putin kritisiert und 2 Jahre dafür gesessen, in einem Frauengefängnis in der russischen Provinz. Seit 2014 ist sie wieder frei, und sie ist viel unterwegs. Gerade erst war sie in Los Angeles, um neue Musik zu produzieren, und jetzt ist sie in Berlin, um ihr Buch vorzustellen.

 

„Anleitung für eine Revolution“ heißt es, und es ist eine Mischung aus politischem Pamphlet und Autobiographie: kein Fließtext, sondern eine Aneinanderreihung kurzer Szenen, dazwischen Aufrufe wie „Lebe so, dass dein Leben ein Film sein könnte“, „Tue das Unmögliche“ oder „Mach Wasser zu Wein. Sei ein Superheld“ . Größenwahnsinnig klänge das, wäre da nicht die tatsächlich heroische Biographie der Autorin:

 

1989 in Sibirien geboren, wird Tolokonnikowa mit 10 zur Feministin. Mit 16 geht sie nach Moskau, um Philosophie zu studieren, und mit 21 fordert sie Putin heraus – in einer spektakulären Aktion, die weltweites Aufsehen erregt und ihr Fans einbringt wie Madonna und Hillary Clinton. Mit 22 sitzt sie im Gefängnis, und so menschenverachtend die Umstände dort auch sind – besonders beeindruckt zeigt Tolokonnikowa sich nicht. Ihr Buch beschreibt diese Strafkolonie für Frauen, als wäre es die russische Variante von Orange is the new Black:

 

„Die Sorokina pisst, als hätte sie einen Schwanz“, raunen die Näherinnen der mordwinischen Strafkolonie einander bei der Arbeit zu.
Ich wusste von Sorokina nur, dass sie sich durch die halbe Kolonie gefickt hat. In mir ruft so etwas eine Flut übermenschlicher Zärtlichkeit hervor.“

Und weiter:

„Lena sitzt in der Kantine allein am Tisch. Sie isst nicht. Alle im Lager kennen sie, viele lieben sie, und viele beneiden sie. Schön. Vollbusig. Sie hat ordentlich gesessen, schon an die sieben Jahre. … „Weißt du, weswegen sie sitzt?“, fragt man mich über Lena, als sie nicht dabei ist. „Weswegen denn?“ „Sie hat während ihres Orgasmus ihren Mann erstochen.“ „Schön.“ Lena enttäuscht mich nie. Solche Sachen. Solche Freunde. Solche Verbrechen.“

 

Tolokonnikowa spricht kein Deutsch, deshalb ist der Abend im Gorki Theater so arrangiert, dass die Schauspielerin Cynthia Macy Auszüge aus dem Buch liest, zu denen Tolokonnikowa dann befragt wird von einem Landsmann, dem russischen Philosophen Mikhail Ryklin. Das Gespräch misslingt völlig und ist gerade deshalb interessant. Von den Voraussetzungen her ist Ryklin das perfekte Gegenüber: Auch er ist Putin-Gegner, und mehr noch: Er war mit einer Künstlerin verheiratet, die ähnliches erlebte wie Tolokonnikowa, mit Anna Altschuk. Auch Altschuk nutzte Kunst für Protest, auch ihr wurde in Russland der Prozess gemacht. Aber: Ryklin ist Jahrgang 1948, und Tolokonnikowa, die 40 Jahre Jüngere, lässt ihn gnadenlos spüren, dass er alt ist.

 

Als Ryklin versucht, ihr Wirken einzureihen in die heldenhafte Geschichte russischen Widerstands gegen Stalin, gegen Putin, lauscht Tolokonnikowa mit geduldigem Desinteresse, um dann einen wirklich widerständigen Künstler zu loben – einen, der sich vor kurzem erst seine Hoden festgenagelt habe auf dem Roten Platz. Die Frage, warum sie dieses Buch geschrieben habe, ob sie aufrufen wolle zu zivilem Ungehorsam, kontert sie fast lasziv-kokett mit dem Seufzer, sie vergesse immer alles so leicht, sie habe das vor allem für sich geschrieben, einfach, um Sachen behalten zu können. Tolokonnikowa lässt Ryklin auflaufen, immer wieder, und während sie das tut, legt sie ihre Füße auf den kleinen Mikrotisch vor ihrem Sessel, ganz entspannt.

 

Eine faszinierende Inszenierung von Selbstliebe, die an diesem Abend fast brutal wirkt in ihrer Unbekümmertheit. Und doch ist auch sie ein letztlich politischer Akt, gehört Selbstliebe doch zu den Dingen, die Frauen in patriarchalen Kontexten eher abtrainiert werden. Tolokonnikowa, so ist zu vermuten, hat sie, sie inszeniert sie nicht nur. Und das allein schon hat etwas sehr erfrischendes – auch, weil Tolokonnikowa Russin ist, Bürgerin eines Landes, das sexistisch ist bis auf die Kochen. Tolokonnikowa bekämpft Sexismus mit Witz und Spaß, und wie ernst es ihr damit ist, hat sie bewiesen. Girls just wanna have fun, diese Maxime gibt es ja auch hier, aber sich selbst im Gulag noch zu amüsieren, das kann wohl nur die Tolokonnikowa.

Publiziert auf AVIVA Berlin am 16.3.2016