WDR 5
Magazinbeitrag: Interview mit der Krimiautorin Alexandra Marinina in Moskau
Verabredet haben wir uns in Moskau, in der Wohnung, die sie zum Schreiben nutzt – Uliza Zhukovskogo, Haus 4, Aufgang 3, und schon auf dem Weg dahin ist ihr Erfolg kaum zu übersehen: Bücherstände säumen die Gänge der Moskauer Metro, und zu haben sind die Krimis der Marinina an ausnahmslos allen.
O-Ton Passantin in der Moskauer Metro: Bei uns in Russland lesen sie alle gern – meine Mutter, mein Mann, ich. Ich zum Beispiel bin Ärztin, und was ich mitkriege durch meinen Beruf, das finde ich auch in ihren Büchern. Sie beschreibt unseren Alltag, unser Leben, so wie es wirklich ist, absolut realistisch.
Alexandra Marinina empfängt nicht selbst, sondern überlässt es ihrem Agenten, die Begrüßung abzuwickeln. Dann erst erscheint sie – eine große, sportliche Frau Mitte 40, eher unscheinbar auf den ersten Blick. Ins Auge fallen nur das Leopardenshirt und die langen Fingernägel, grün lackiert. 8 ihrer inzwischen 24 Bücher wurden verfilmt, regelmässig ist sie im Fernsehen zu sehen und auch der russische Playboy hat sie portraitiert:
O-Ton Marinina: Ich bin wirklich sehr bekannt in unserem Land. Auch auf der Strasse werde ich oft erkannt, in der Metro, die Leute kommen und wollen Autogramme, folgen mir, also ich bin wirklich berühmt, aber trotzdem lebe ich nicht wie ein Star. Ich wohne in einer kleinen gemütlichen Zweizimmerwohnung, nicht wie unsere Stars in gigantischen Häusern oder Villas, mit Limousine und Chauffeur – warten Sie, da kommt mein Mann…
Er sieht aus wie das Modell der Davidoff Reklame, jungenhaft, grauhaarig und sehr distinguiert – ein Major der Moskauer Miliz. Kennengelernt haben sich die beiden vor 10 Jahren, als auch Marinina noch Polizistin war. Oberstleutnant, wie sie präzisiert, ein Rang niedriger als der ihres Mannes. Anders als er habe sie nie ermittelt, Tatorte besucht oder verhört; ihre Aufgabe war eine rein theoretische – das Erstellen von Täterprofilen:
O-Ton Marinina: Als Kind träumte ich eigentlich vom Kino, wollte Kritikerin werden oder Filmwissenschaftlerin, aber sowohl mein Vater als auch meine Mutter waren Juristen, und wahrscheinlich hab ich deshalb beschlossen, mich nicht mit Kino, sondern mit Verbrechen zu befassen.
Vor drei Jahren gab sie ihren Beruf als Polizisten auf, weil der Erfolg sie überrollte. Angefangen hatte alles mit kleinen Geschichten für die Hauszeitung des Innenministeriums, doch kluge Verleger entdecken schnell, dass diese Geschichten genau das sind, was sich verkaufen lässt: Krimis, geschrieben von einer Frau und vor allem, handelnd von einer Frau. Ob Waffenschmuggel, Mord oder Prostitution – Kommissarin Anastsija Kamenskaja, genannt Nastja – löst jeden Fall:
O-Ton Marinina: Sie liebt ihre Arbeit, ist ein richtiger workaholic. Sie ist sehr faul, was ihr Aussehen angeht, das sie vernachlässigt, genauso wie ihren Haushalt. Sie liebt die Mathematik, sie hat ein hervorragend funktionierendes Gehirn, dass ihr striktes logisches Denken erlaubt.
Textauszug aus „Auf fremdem Terrain“: Ganz tief im Inneren war Nastja kalt. Dauerfrost und große Ödnis. Nur intellektuelle Arbeit interessierte sie. Ihre Lieblingsbeschäftigung war, zu analysieren und Aufgaben zu lösen. Was sie natürlich nicht gerade weiblicher machte. Aber was sollte sie machen, wenn alles andere sie nicht interessierte? Sie war nicht einmal imstande, sich richtig zu verlieben…
O-Ton Marinina: Natürlich ist sie beunruhigt und fragt sich, mein Gott, was ist bloss los mit mir, bin ich ein Monster? Und genauso ging es auch mir selbst – als ich anfing zu schreiben, war ich nicht verheiratet. Meine erste Ehe war schnell zu Ende gewesen, mit 24 schon, und dann hab ich erst mit 40 wieder geheiratet, obwohl ich meinen jetzigen Mann lange vorher schon kannte. Und ich hab mich auch gefragt, warum bloss will ich das alles nicht, zusammenleben, heiraten?
Ihr Mann hört schweigend zu, um auf Nachfrage hin zu erklären, dass seine Frau etwas ganz besonderes sei, eine Ausnahme eben. Genauso wie Anastasija Kamenskaja, ihr Alter Ego, die russische Leserinnen wohl auch deshalb so fasziniert, weil sie ein wenig rebelliert – verquält zwar und von Selbstzweifeln geplagt, aber immerhin, im Job wenigstens setzt sie sich durch. Auch wenn es um Verbrechen im großen Stil geht, wie in ihrem jüngst erschienenen Krimi „Mit verdeckten Karten“.
Textauszug aus „Mit verdeckten Karten“: „Diese Wirtschaftssachen, sagte Nastja, langweilen mich entsetztlich. Es geht nie nur ums Geld, so groß die Summen auch sein mögen, es geht um ganz anderes, um Gefühle und Leidenschaften. Menschen sind viel interessanter als Geld.“
Klar, dass sie recht behält – einfache Geschichten, gut geschrieben und gelesen von vielen – das Lob einer Zeitung, sie gehöre zu den 25 einflussreichsten Persönlichkeiten des Landes, erfüllt sie mit Stolz. Selbstbewusst ist sie, eitel weniger, ganz im Gegenteil: Für die Fotos im Playboy hat sie sich entstellen lassen – zur Blondinka neurussischen Typs
O-Ton Marinina: So seh ich überhaupt nie aus, was glauben Sie denn? Der Visagist hat 3 Stunden gebraucht, was stellen Sie sich vor?! Aber ich – 20 Minuten, dann bin ich fertig. Und ausserdem sind das gar nicht meine Haare, das ist ne Perücke. Mit meinen Haaren kriegen Sie sowas gar nicht erst hin.